SPD

Ortsverein Eickel

01.08. Der Praktikant

Das Tagebuch eines Kirmespraktikanten

Politiker sind abgehoben! Die wissen ja gar nicht mehr, wie es wirklich zugeht! Solche und ähnliche Vorwürfe sind zu vernehmen. Gut zu hören, dass es noch Politiker gibt, die mit beiden Beinen im wahren Leben stehen und sich die Probleme und Arbeitsbedingungen der Menschen nicht nur durch Bücher, sondern vor Ort erarbeiten. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die den ganzen Tag bequem im Büro sitzen und sich nur auf diese Weise realistisch informieren können.

So hat sich Ulrich Syberg in die Tradition der Parlamentarier eingereiht, die jedes Jahr als Praktikant für Tage oder Wochen in einen Betrieb gehen oder dort jobben.

Die WAZ schreibt:

Der Eickeler Ulrich Syberg  (52) macht ein "Praktikum" auf Crange. Eine ungewöhnliche Tour des Vorsitzenden des ADFC Herne und SPD-Stadtverordneten aus Eickel, der zudem auch noch ein Tagebuch schreibt. Auszüge daraus erscheinen vom 04. August bis zum Ende der Kirmes täglich in der WAZ. © Fotos Claudia Krieger.

Das Auge isst mit

1. Teil: Ulrich Syberg arbeite im Gourmet-Garten vom Fischhaus Lichte

Hausmann

Hausmann

Seine ersten Sporen als Praktikant verdiente sich Ulrich Syberg am Wochenende im Gourmet-Garten von "Fisch Lichte". Wunderbare Sachen durfte er aufs Tablett bringen.

Mein Blick hinter die Kirmeskulissen beginnt in Fisch Lichtes Gourmet-Zelt mit dem Abtrocknen großer Geschirrmengen, denn eine Spülmaschine gibt es nicht. Lina und Nadine achten auf perfekte Arbeitsergebnisse. Die liefere ich auch und darf danach schon Scampi-Spieße aus ihrer Verpackung befreien. Die Lichte-Familie, deren sämtliche Mitglieder in der vierten Generation "Fisch machen", ließen mich gerne hinter die Kulissen blicken. Ich bin beeindruckt von Geschick und Freundlichkeit der jungen Kolleginnen und einem reinlichen Arbeitsumfeld. Das Auge isst mit. Mit Eifer dekorieren die Mädchen Teller und Platten, als eine Order reinkommt: Flusskrebse vom Grill. Unter den wachsamen Augen des Kochs darf der Praktikant das Gericht beinahe eigenständig zubereiten. Abdul ist zufrieden, aber dem "Neuen" mangelt es an der Sorgfalt beim Anrichten: über den Tellerrand hängend die Zwiebelringe, huschig aufgetürmt die Krebslein. Nach dem liebevollen Re-arrangieren von Nadine geht das perfekte Gericht an den Gast - ein Produkt echter Teamarbeit. Für mich als Hobbykoch war es ein lohnenswerter Abend. Der Chef spendierte zum Abschied ein Gläschen Pinot. Aber nach drei Stunden Einsatz freute ich mich einfach aufs Sitzen. Zum Vergleich: Das Lichte-Team arbeitet von 10 Uhr früh bis 3 Uhr nachts. Meine nächsten Stationen sind übrigens die Sanitätsstelle des DRK und das Kinderkarussell Krenz. Bis dann.

Rettungsmann

Rettungsmann

Mit Äskulap auf Streife

Teil 2 Ulrich Syberg begleitet die Sanitäter vom DRK

Ein Betrunkener verlässt schwankend die DRK-Station – und kehrt gleich wieder zurück. "Ich hab' was vergessen ich brauch' Ihre Telefonnummer", zwinkert er seiner Sanitäterin zu. Wachleiter Rainer Weichert kennt kein Pardon. Er beschützt seine 50 bis 60 Ehrenamtlichen, die täglich im Einsatz sind, manchmal 16 Stunden lang. Dafür gibt es eine warme Mahlzeit, heute Lasagne. Viele opfern den Urlaub. Sie sind Idealisten, ihre Motivation ist die sinnvolle Tätigkeit im DRK-Team.
Dr. Martin Krause gewährt dem Praktikanten auf der zweistündigen Streife tiefe Einblicke. Es ist Krauses 16. Einsatz auf Crange, mit 18 hat er angefangen. Immer den Finger am Vibrationsalarm des Sprechfunks, entgeht ihm kein Funkspruch. Auf der Dorstener Straße befindet sich eine hilflose Person, ein Krankenwagen rückt aus. Über Funk höre ich alles mit. Ich habe. strikte Anweisung, Handschuhe anzuziehen, falls ich eine Person anfasse: "Sonst stehen Sie den Rest des Abends am Waschbecken und reiben sich die Haut runter." Mit der Sanitasche bewege ich mich recht offiziell durchs Getümmel und kann auch die Frage nach dem nächsten Klo beantworten. Noch ein Schlenker über die Hauptstraße bis zur A 42. "Äskulap 5844 rückt ein", darf ich schließlich ins Funkgerät sagen, "keine besonderen Vorkommnisse." Zum Glück. Morgen arbeite ich dann beim "Baby Flug" neben dem großen Riesenrad.

Das Glück in den Gesichtern

Teil 3: Ulrich Syberg begleitet die Starts des Kinderkarussells Star Treck

Kirmesmann

Kirmesmann

Den ganzen Tag in glückliche Gesichter schauen. Willi Krenz und seine Frau genießen das seit 34 Jahren. In ihrem Star Trek-Kinderkarussell unterm Riesenrad haben an diesem Nachmittag die kleinen Gäste ihre Wurzeln in der ganzen Welt: Mittel-, Ost- und Südeuropa, Afrika und Asien starten in den Cranger Himmel. Kinder von grade geboren bis zwölf Jahre fiebern ihrer Fahrt entgegen. "Mit zwölf werden sie langsam genannt", lacht Frau Krenz. "Dann sind jüngere Geschwister das Alibi zum Mitfahren." Auch ich darf mal fliegen! Meine Kollegen weisen mir sieben Raumschiffe zu. Rein, raus, die Farbe des Schiffes gewechselt, da komme ich manchmal durcheinander: "Wem habe ich schon den Chip abgenommen?" Ganz wichtig ist das "Vorsicht bitte" der Chefin. Sie kann auch schon mal lauter werden, wenn ein Papa noch den Kopf im Wagen hat und seinem Spross den Steuerknüppel erklärt, kurz bevor die Fahrt beginnt. Den Mitarbeitern entgeht jedoch nichts, in dem Moment sind sie bei aller Routine hoch konzentriert.
Ehepaar Krenz repräsentiert die fünfte Generation der Schaustellerfamilie. Bei der sechsten Generation erhalte' ich eine Belohnung für meinen Einsatz: Der Neffe betreibt die Eiskonditorei Schmalhaus. Jetzt steht mein Einsatz im Partyzelt an. "Sex and the City" ist das Motto. Ich war noch niemals in New York.

Der Praktikant gibt seine Textilien nicht her

Teil 4: Mit den Dream Boys in Steinmeisters Partyzelt

Thekenmann

Thekenmann

Hinein ins Steinmeister-Shirt und die Schürze geschnürt, da. weist mich Jörg schon in die Arbeit hinter der Theke ein. Das Team nimmt den "Neuen" schnell in die Mitte. Zapfen ist tabu, ich beginne den Dienst mit dem Öffnen unzähliger Prosecco-Flaschen. DJ Franky-K-Rockz lässt es krachen. Vier braungebrannte Dream Boys betreten die Bühne. Zu den schönen Tänzern mit Kragen und Fliege, aber ohne Hemd, gesellen sich gut gelaunte Frauen. Hinter der Theke wird's hektisch. Spülen, Gummibärchen-Schnaps eingießen, Cocktails mixen, Müll entsorgen - ich muss durch die kreischende Menge. "Du hast ja noch Dein T-Shirt an!", beschwert sich eine Dame. Das bleibt auch so, denn den physischen Vergleich mit Romeo, Slava, Chris und Vincenzo scheue ich zu Recht. Die Burschen sind durchtrainiert, um die 30 - und nett. Im richtigen Leben verkaufen sie Versicherungen, arbeiten als Elektriker, Pharmareferent, Logistikkaufmann. Bauarbeiter ist keiner. Die Ladies bewegen sich mutig. Hüften kreisen, Dekolletes werden geschüttelt, hier verrutscht ein Träger. Die Damen lockern ihre Kleidung selbst. Als die Vier sich sp������t verabschieden, normalisiert sich der Zustand, es wird ausgelassen gefeiert. Für mich gibt's 'n Wasser.

Nur das Trinkgeld fließt spärlich

Teil 5: Ulrich Syberg sorgt für Sauberkeit und Handtuch-Nachschub im Klowagen

Toilettenmann

Toilettenmann

Heute sind meine Aufgaben die Reinigung von Klos und Waschbecken, das Nachfüllen der Handtücher, Boden wischen, Müll ausleeren und, das ist besonders wichtig, dabei auf die Trinkgeldkasse aufzupassen. Wie, bitte schön soll das gehen, alles gleichzeitig? In anderen Branchen heißt das Multitasking. Die Toilettennutzung ist gratis. Trinkgeld fließt erschreckend spärlich. Junge Leute zahlen selten. ältere schon öfter, meistens jedenfalls. Die sagen, da war kein Papier. ich zahle nicht. Wenn ich dann gucke, ist wohl Papier da gewesen, erzählt Klo-Chef Klaus. Doch jetzt kommt ein vorbildlicher Herr, fragt, was er zahlen soll und wann, vorher oder nachher? Er eilt ins Damenklo, wir pfeifen ihn zurück. Oder ein Euro, sage ich grinsend. Er nutzt das Herrenklo, aber für den Spruch gibt‘s trotzdem den Euro. Wir freuen uns über die Umsatzsteigerung.
Mein Sohn muss hier irgendwo sein! Lukas, wo steckst du?!?! Lukas verbringt schon längere Zeit bei uns im Häuschen. Zuviel Pommes?, frage ich. Nein, Lukas ist Karussell mit den Großen gefahren und hat Bauchschmerzen, jetzt geht es schon besser. Ein blasses Kind und eine erleichterte Mutter verlassen uns wieder.
An 13 Crange-Tagen arbeitet Klaus bis zu zehn Stunden. Er spricht gerne mit den Menschen und ist stolz auf sein funktionierendes Reich. Der geschickte Mann kommt auch mit verstopften Abflüssen klar: Welche unappetitlichen Überraschungen er manchmal im Spülkasten versteckt findet, verschweige ich hier lieber. Die Täter wissen Bescheid und dürfen jetzt den Kopf senken. Oder Trinkgeld geben. Vielleicht begegne ich euch ja morgen in der Geisterbahn.

Sensemann

Sensemann

Schlabbernde Plastikhand greift zum eigenen Chef

Teil 6: Ulrich Syberg in der Geisterbahn

Heute fange ich rückwärts und ganz ungefährlich an. Dort, wo die frisch Gegruselten die Geisterbahn verlassen, reihe ich bei Schützes Zwei-Etagen-Geisterbahn per Knopfdruck und Muskelkraft die Wagen aneinander, bevor neue Fahrgäste zusteigen. Dann geht’s ins Dunkle, wo ich aus einer Kiste zwischen Köpfen, Masken und Kostümen ein wunderbar scheußliches grünes Stück fische, das meinen Kopf komplett umhüllt. Es ist heiß unter der Verkleidung, der Schweiß läuft den Rücken herab.
Ich bin sofort erfolgreich. Meine schlabbernde Plastikhand streift die Wagen der Fahrgäste. Gekreisch, Gelächter, Sorge um die Frisur, die Menschen entfernen sich schüttelnd ins Tageslicht. Drei freche Kinder kommen mutig zurück und zanken, aber ich mache nur Buh, und sie rennen erschrocken weg. Als ich mich endlich aus der Maske befreie, steigt plötzlich mein oberster Chef aus dem richtigen Leben aus einem Wagen. Äh - wie erkläre ich das jetzt? Landrat Jochen Welt aus Recklinghausen gehört zu den Mutigeren, er ist schön wieder gefasst. Ich nicht, denn es ist Zeit, Auf Wiedersehen zu sagen Der Kirmes Praktikant verabschiedet sich von einem lebenswerten Schaustellervolk und seinen Gästen. Vielleicht sehen wir uns im nächsten Jahr wieder - Piel op no Crange!